Hier also ein paar Seiten aus
meinem Roman "Kaffeejunie". Bei Anfragen jeglicher Art bitte eine Mail
schreiben.
.
Ein Roman über Drogen, Homosexualität und
Aids (und Kaffee)
Brad ist dreiundzwanzig, Angestellter in einer Cafebar
und eins fünfundsiebzig. Als er eines Tages dem schwulen John in dessen
Wohnung folgt, scheint dies ein Wendepunkt in seinem Leben. Und schon gleich
taucht am nächsten Tag Lily auf, die ihn auf ganz andere Gedanken bringt.
„Meine Güte, das ist sowas von demütigend!“
Brad saß bei sich Zuhause auf dem Sofa und trank
einen Kaffee. Vor einer Stunde war er nach Hause gekommen, nachdem er die
Nacht im Bett von dem schwulen John verbracht hatte. Jetzt war es neun Uhr und
Brad saß auf seinem Sofa und trank Kaffee.
Ich habe mich von einem Schwulen
vergewaltigen lassen, wie peinlich, dachte Brad und schlürfte seinen
Kaffee. Er hatte es gar nicht für so schlimm gefunden, dass John mit ihm
schlief, so schlecht war es ja gar nicht gewesen, aber er war im Herzen eben
ein Hetero und es kam ihm schlicht und ergreifend einfach verboten vor dann
mit einem Mann zu schlafen. Gut, er würde es einfach keinem erzählen und John,
wenn er das nächste Mal das Cafe betreten würde, Ladenverbot erteilen. Da fiel
es ihm wieder ein: Das Cafe! Er hatte heute Frühschicht. Brad sprang
erschrocken vom Sofa auf und ließ seinen Kaffee stehen. Da er seinen Mantel
nicht erst ausgezogen hatte als er nach Hause gekommen war, verlor er nur ein
paar Sekunden durch das Umbinden seines Schals. Und schon hatte er die Tür
hinter sich zugeschlagen, war die Treppe runtergesprintet und schlängelte sich
auf der Straße zwischen den Leuten hindurch, um noch rechtzeitig zum Cafe zu
kommen. Aber das würde er sowieso nicht mehr. Es war viertel nach Neun. Er
hätte eigentlich schon um halb Acht im Cafe sein sollen. Er fragte sich, was
wohl die allmorgendlichen Stammkunden denken würden. Vielleicht, dass das
Chester’s wegen Renovierung geschlossen hätte. Und was würde Chester erst
sagen! Er würde es nicht als Entschuldigung akzeptieren, wenn er ihm sagte,
dass er letzte Nacht unfreiwillig mit einem Mann geschlafen hatte. Die Leute
auf der Straße schienen sich für seine Probleme auch nicht sonderlich zu
interessieren. Sie schlenderten wie immer vor sich hin und waren nicht der
Ansicht ihr Tempo aus anderweitigen Gründen zu beschleunigen. Brad schlängelte
und drängelte sich also weiterhin zwischen ihnen hindurch.
Diese blöden Senioren, dachte Brad,
als er versuchte zwei alte Damen zu überholen, die nur so vor sich her
krochen. Er drängte sich an der Linken vorbei und streifte dabei ihren Arm.
„Also, immer langsam junger Mann! Was soll denn
diese Eile?“, fuhr die Alte ihn an.
„Jaja“, sagte er und wollte sich
weiterschlängeln, aber die Frau hielt ihn fest.
„Was denken Sie sich eigentlich dabei? Sie
Rüpel!“
„Ich muss wirklich schnell...“
„Jaja, Sie müssen schnell. Keinen Anstand die
jungen Leute heutzutage!“
„Bitte, tut mir ja leid...“
„Nee, vom Herzen muss es kommen, Söhnchen“,
mischte sich die Begleiterin der alten Dame ein.
„Ja, wirklich. Entschuldigung.“
„Für wen halten Sie sich eigentlich?“
„Er hält sich für Krösus, das müssen Sie
verstehen.“ Brad und die beiden alten Damen wandten sich um. Brad klappte der
Unterkiefer herunter. Da war doch tatsächlich wieder die junge Frau, die er
gestern umgerannt und deren Einkäufe er auf der Straße verteilt hatte. Und
schon wieder hatte sie einen blöden Spruch abgelassen.
„Was mischt du dich da eigentlich ein?“, fragte
er und fand es komisch sie zu duzen, obwohl er noch nicht mal ihren Namen
kannte.
„Vielleicht entschuldigst du dich mal bei den
Damen.“
„Was bist du eigentlich für eine blöde
Schnepfe?“
„Also hören Sie mal junger Mann!“
„Ach, seien Sie doch ruhig! Vielleicht
schleichen Sie mal mit Ihren hundert Jahren neben dem Bürgersteig!“
„Das ist ja wohl die Höhe!“
„Sag ich doch: Total egoistisch der Idiot.“
„Komm, sei du mal ganz ruhig, ja?“
„Was laufen Sie überhaupt so leichtsinnig über
die Bürgersteige?“
„Ich muss zur Arbeit!“
„Es ist halb zehn!“
„WAS?“ Egal wohin die Diskussion noch geführt
hätte, Brad riss sich von der Frau los, die ihn immer noch am Ärmel festhielt
und nahm seinen Sprint zum Cafe wieder auf.
Diese blöde Kuh, dachte sich Brad. Kann
die sich nicht um ihre Sachen kümmern? Zum Beispiel um ihre Einkäufe?
Er wünschte sich, dass sie jetzt mit einer
vollen Einkaufstüte vor ihm herging. Dann würde er volle Kanne in sie hinein
rennen und ihr nicht wieder hoch helfen.
Als Brad dann bei Chester’s ankam war es so, wie
er es sich vorgestellt hatte: Das „Closed“ Schild hing noch an der Tür, die
Rollläden waren runtergelassen und es sah aus, als ob heute irgendein Ruhetag
wäre. Das war es aber natürlich nicht und Brad suchte hastig den Schlüsselbund
in seiner Manteltasche, um ins Cafe zu gelangen. An seinem Schlüsselbund
hangen nicht gerade viele Schlüssel: sein Wohnungsschlüssel, der für den
Waschkeller, der für sein Fahrrad, welches er nie benutzte, sein
Autoschlüssel, welches er ebenfalls selten benutzte, einen für das Haus seiner
Eltern und der fürs Cafe. Diesen steckte er jetzt ins Schloss, drehte ihn und
stolperte ins Ladeninnere. Er ließ die Tür offen stehen und fing an, nachdem
er die Rollläden hochgezogen hatte, die von Tom hochgestellten Stühle von den
Tischen zu nehmen und sie kreuz und quer im Cafe zu verteilen. Dann holte er
einen Lappen, wischte kurz über alle Tische und machte sich schließlich daran
Kaffee zu kochen, welchen er gleich darauf trank.
Der Tag ist scheiße, dachte er. Totale
Scheiße. Und es schneit.
Brad trank seine zweite Tasse Kaffee, als eine
Frau das Cafe betrat. Sie hatte langes verfilztes rostbraunes Haar und trug
eine Netzstrumpfhose unter ihrem grau-schwarz karierten Rock. Sie hatte
Lederstiefel an, die bis über ihre Knie gingen und über all das trug sie einen
langen, schwarzen Mantel. Auf die Ringe, die sie unter ihren Augen hatte, wäre
Brad stolz gewesen. Sie setzte sich an den Tresen und steckte sich eine
Zigarette an. Brad putzte über die Theke und dachte sich: Wenn sie
nichts sagt, dann sag ich auch nichts.
Sie saß eine Weile da und rauchte still vor sich
hin, dann fragte sie: „Habt ihr Aschenbecher hier?“
Brad hatte sich gerade erneut eine Tasse Kaffee
gebrüht und holte nun einen Aschenbecher unter der Theke hervor. Er stellte
ihn vor ihr hin und trank weiter seinen Kaffee. Sie drückte ihre Zigarette im
Becher aus und betrachtete Brad, der seinen Kaffee, schwarz, ohne Zucker,
trank und dabei missmutig jede einzelne Schneeflocke, die es wagte vor dem
Fenster des Cafes niederzurieseln, ansah.
„Alles klar?“, fragte sie ihn dann. Brad sah von
den Schneeflocken zu der jungen Frau.
„Hmm...“, sagte er dann und schlürfte wieder
seinen Kaffee.
„Siehst irgendwie ein bisschen fertig aus“,
sagte sie und steckte sich eine neue Zigarette an. Sie hielt Brad ebenfalls
eine Zigarette hin. Er sah wieder auf und machte eine ablehnende Kopfbewegung.
„Ah, ein Gesundheitsfanatiker.“ Sie steckte die
Zigarettenschachtel wieder in ihre
Manteltasche.
„Ich bin kein Gesundheitsfanatiker“, sagte Brad
„Ich bin Angestellter in einer Cafebar.“
„Von mir aus“, seufzte sie und zog weiter an
ihrer Zigarette.
„Willst du nichts bestellen?“ Brad fragte, um
von dem Gesundheitsthema abzulenken.
„Und womit soll ich bezahlen?“
„Mit Geld.“
Sie grinste ihn an und wandte sich wieder ihrer
Zigarette zu.
„Also, wenn du nur hier bist, um an der Theke
rumzuqualmen, dann bist du hier falsch!“ Sie sah ihn mit hochgezogenen
Augenbrauen an und blies dann eine Rauchwolke in die Luft.
„Dann gib mir halt ´nen Kaffee oder so was.“
Oder sowas, dachte Brad und stellte ihr
eine Tasse hin. „Mit Milch oder Zucker oder beides?“
Sie schüttelte den Kopf. Er schenkte ihr den
Kaffee ein und setzte sich wieder auf den Barhocker hinter der Theke.
„Wie heißt du?“, fragte das Mädel und trank
einen Schluck Kaffee.
Was fällt der eigentlich ein? dachte
sich Brad. Kommt hier rein, verqualmt mir die Luft, zwingt mich zum
arbeiten und fragt dann auch noch wie ich heiße!
„Warum?“, sagte er dann.
„Warum nicht?“
Brad schnaubte.
„Ich heiße Lily“, sagte Lily und sah Brad
erwartungsvoll an.
„A-ha.“ Brad stand auf, verließ die Sicherheit
hinter der Theke und schlurfte zur Ladentür. Er öffnete sie, schlurfte zwei
Meter über den Bürgersteig, holte eine Münze hervor, steckte sie in den dafür
vorgesehenen Schlitz und nahm die Zeitung aus dem Automaten. Damit ging er
wieder ins Cafe und schüttelte sich die Schneeflocken aus den Haaren. Er
setzte sich wieder auf den Hocker hinter der Bar und verschwand mit dem
Gesicht hinter der Zeitung.
„Steht was Interessantes drin?“, fragte Lily,
die jetzt keine Zigarette mehr rauchte.
„Nö“, sagte Brad, der sich nur die Bilder
angesehen hatte und die Zeitung weglegte.
„Irgendwie siehst du voll durchgefickt aus.“
Brad sah sie mit offenem Mund an. „Was?“, fragte
er scharf.
„War ´ne lange Nacht, oder?“
Brad dachte an John. Igitt, ging es ihm
durch den Kopf.
„Nein.“ Er sah sie weiterhin scharf an. „Willst
du deinen Kaffee nicht bezahlen?“
„Ich hab ihn doch noch gar nicht alle.“
„Macht ja nichts.“
„Ich habe aber kein Geld.“
„Warum bestellst du dir dann was?“
„Du hast mich doch gezwungen.“
„Du hättest ja auch wieder gehen können.
„Ich kann jedenfalls nicht bezahlen.“
„Dann musst du wohl
Tellerwaschen.“
Sie grinste. „Tellerwaschen, jaja...“ Sie wühlte
ein wenig in ihrem Mantel herum, dann legte sie ihm eine Karte auf die Theke.
„Komm dahin“, sagte sie. „Ich kann’s da bezahlen.“
„Ich gehe aber nicht in den Puff.“
Sie lachte. „Das ist kein Puff. Ich würde nie im
Leben mit so einem Loser wie du es bist ins Bett steigen.“ Dann stand sie auf
und ging. Brad sah ihr hinterher.
„Loser? Ich? DA LACH ICH DOCH!“, rief er, aber
sie hob nur die Hand zum Abschied.
„Schlampe“, sagte Brad und trank vor Ärger
gleich eine Tasse Kaffee, schwarz und ohne Zucker.
„Und – zack - weg war sie.“
„Hört sich ja spannend an.“
„Ja, nicht wahr?“ Brad saß an der Theke während
Tom wie immer die nicht ganz intimen Wünsche der Teenager erfüllte. Brad hatte
ihm von Lily erzählt und Tom hatte mal mehr, mal weniger aufmerksam zugehört.
„Also ein Loser? Hmm... das sieht man schon wenn
du hinter der Theke arbeitest?“, fragte Tom und gab einem Jungen eine Cola,
der sie trinken wollte und das dann auch tatsächlich tat.
„Was soll das denn heißen? Ich bin kein Loser!
... Na gut, manchmal schon, aber nicht im Bett!“, fügte er hinzu.
„Hast du Beweise?“
„Ich habe Zeugen!“
„Die waren betrunken.“
„Willst du’s ausprobieren?“
„Bist du schwul oder was?“
„Hast du ´ne Ahnung.“
Tom stöhnte und wandte sich einem Mädchen zu,
das auch eine Cola trinken wollte und deshalb ihren Wunsch bei Tom äußerte,
der ihn erfüllen würde. Brad freute sich. John war nicht da.
Vielleicht verbrennt er gerade in der
Tropical Bar, dachte er, denn er hatte sich im Laufe des Nachmittags
überlegt, eine Benzinspur im Tropical zu legen und diese dann anzuzünden. Aber
dazu würde er die Bar betreten müssen und wenn er gefasst würde, dann müsste
er viele Jahre im Gefängnis sitzen und dort vergewaltigten sie auch kleine
zweiundzwanzigjährige Jungen. Also sollte doch besser ein anderer den Job
machen.
„Hast du Feuer?“, fragte ein Mädchen Brad, der
sie mit einem „Was-auch-immer-du-willst-mich-interessiert’s–nicht“ Blick
ansah.
„Hey, hast du Feuer?“
Typisch blond, dachte Brad, merkt mal
wieder nicht, dass sie abhauen soll.
„Wie alt bist du denn?“, fragte er dann.
„Was hat das denn damit zu tun? Ich will wissen,
ob du Feuer hast?“
„Bist du denn schon Sechzehn?“
„Ach, leck mich doch!“ Sie zeigte ihm die kalte
Schulter und stolzierte davon.
„Aha, Don Juan bei der Arbeit“, sagte Tom.
„Halts Maul!“
„Wenn Chester mitkriegt wie du mit den Kunden
umgehst...“
„Ich mach’s doch nur, wenn du Schicht hast.“
„Und wenn du Schicht hast?“
„Dann tu ich so als wären sie nicht da.“
„Und wenn sie was bestellen?“
„Dann sind sie ein Schockerlebnis.“
„Toll.“
„Was ist denn daran toll?“
„Doch nicht du, da!“
Brad schaute zur Tür, auf die Tom zeigte. Da
kamen gerade an die zwanzig Teenager reinspaziert. Lachend, redend, Brad
ankotzend.
„Hier.“ Tom warf ihm eine Schürze zu.
„Was soll das denn werden?“
„Glaubst du etwa ich mache das hier alleine,
wenn der Laden so voll ist?“
„Ja.“
„Los, tu was für dein Geld!“
„Geld? Ha, das ich nicht lache.“ Aber er band
sich jedenfalls die Schürze um und stellte sich zu Tom hinter den Tresen.
So ist es also wenn man Spätschicht hat,
dachte Brad und hatte auf einmal eine ganze Menge mehr Respekt vor seinem
besten Freund Tom.
Die Teenager taten genau das, was Brad
befürchtet hatte: Sie gaben ihre Bestellungen auf.
Da waren: sechs Cola, zehn Milchkaffees, zwei
normale Wasser und zwei Espresso. Einer hatte einen Skotsch bestellt und Brad
nutzte das, um ihm eine Predigt über Alkohol abzuhalten und ihm den
Unterschied zwischen Kneipen und Cafes zu erklären. Am Ende ging der Vogel
vollkommen unbeeindruckt zurück zu seinen Freunden und empfahl denen, nichts
bei dem Typ mit den schwarzen Haaren und dem Schal zu bestellten.
Sechs Cola, zehn Milchkaffees und zwei Espresso
später, Brad hatte den zwei Mädels die Wasser bestellt hatten erzählt, dass in
dem Wasser zu viel Arsen drin sei und diese überlegten somit noch was sie
bestellen würden, also sechs Cola, zehn Milchkaffees und zwei Espresso später,
saßen Brad und Tom hinter der Theke, wobei Brad eigentlich auf der Theke saß,
sie hatten keine Lust gehabt einen weiteren Barhocker hinter die Theke zu
stellen, abgesehen davon, waren alle besetzt, und sie wappneten sich auf die
zweite Bestellungswelle.
„Scheiße“, sagte Tom.
„Ja“, sagte Brad.
„Die sind doch alle total blöd.“
„Total.“
„Aber echt.“
„Ja.“
„Gehst du jetzt nach Hause?“
„Wie spät ist es?“
„Halb elf.“
„Nö.“
„Was nö? Natürlich ist es halb Elf!“
„Nö, ich geh nicht nach Hause.“
„Ach so.“
„Ja.“
„Ja.“
Sie waren eine Weile still. Dann sagte Tom:
„Sondern?“
„Sondern was?“
„Sondern du gehst wohin?“
„Weiß ich nicht.“
„Bleibst du hier?“
„Nein.“
„Dachte ich mir.“
„Aha.“
„Geh doch ins Tropical.“ Toms typischer
Insiderwitz. Brads typischer Launedämpfer.
„Arschloch!“ Er stand auf.
„Gehst du jetzt?“
„Ja.“
„Wohin?“
„Keine Ahnung.“
„Such dir mal wieder ´ne Perle.“
„Bis dann!“
„Tschüss!“
Brad verließ das Cafe, mit seinem Mantel und
Schal.
Perle, dachte er. Warum immer diese
abwertenden Namen? Tussi, Chick. Scheiße, wer dachte sich sowas bloß aus? Wenn
er eine Frau wäre und ihn jemand so nennen würde, dann könnte der Kerl ihn mal
sonst wo.
Aber ich bin keine Frau, dachte er sich.
Gott sei Dank. Aber vielleicht hatte Tom recht. Vielleicht würde seine Laune
sich wieder bessern, wenn er mal wieder richtigen Heterosex hätte. Er
entschied sich zum „Black Bear“ zu gehen. Einer Kneipe, in der er nicht immer
Frauen fand, aber wenigstens genügend Alkohol, um seine Triebe medizinisch zu
befriedigen.
Im Black Bear war es stickig, laute
undefinierbare Musik schallte durch den Raum und Brad saß an der Bar. Vor ihm
stand ein Skotsch, den Brad sich bestellt hatte in der Hoffnung, der Junge aus
dem Cafe, der sich ebenfalls einen Skotsch hatte bestellen wollen, würde
irgendwie mitbekommen, dass Brad einen Skotsch trinken konnte. Dann wäre der
Junge ganz neidisch, weil Brad einen Skotsch trank und er nicht!
Gut, okay, blöder Gedanke,dachte Brad.
Ist ja auch egal.
Er sah nach links. Da saß ein vollkommen
sturzbesoffener Kerl. Unrasiert und drei Meilen gegen den Wind stinkend. Der
Typ erweckte in Brad die Idee, sich auch mal wieder zu rasieren, das hatte er
seit Vorgestern nicht getan. Vorgestern war Mittwoch gewesen. Brad überlegte.
Also war heute Freitag. Zufrieden mit dieser Schlussfolgerung bestellte er
noch einen Skotsch und trank ihn auf ex. Es war Freitag. Eigentlich sollte
Brad jetzt mit einem hübschen Mädchen im Park sein oder sowas.
Alles Scheiße, dachte er sich. Toms
Worte fielen ihm ein.
Erst mal eine Heterofrau finden, ging es ihm
durch den Kopf. Er sah sich um. Frau, dachte er. Lange Haare, lange
Beine, große... Da! Weiter im Inneren der Bar befand sich so ein weibliches
Objekt, das Brads Geschmack zusagte. Er sah sofort, dass sie nicht oft in
solche Schuppen wie das Black Bear ging. Sie hatte glattes blondes Haar bis zu
den Schultern, ungefähr zwei Kilo Make-up in und um der Gegend des Kopfes, ein
schwarzes enges Minikleid und schwarze, elegante Pumps an. Außerdem war sie
braungebrannt und schien schon ein paar alkoholenthaltende Getränke intus zu
haben.
Brad zuckte zweimal mit den Wimpern und trat
dann den Weg zu ihr an.
Sie sah ihn allerdings gar nicht. Er dachte
nach. Sie war betrunken und er hatte seinen Mantel an. Seine Chancen standen
also ziemlich gut. Er stoppte dreißig Grad neben ihr und räusperte sich. Sie
wandte sich um.
„Ja?“, fragte sie und Brad dachte:
Blöde Zippe. Da sagt man nicht „ja“, sondern
„Oh, hallo! Wo kommst du denn her?“ oder „Ist ja nett, dass du dich zu mir
gesellst!“ Aber „Ja“, das ist doch vollkommen dämlich.
„Hi“, sagte Brad und drängte seinen Gedanken in
die hintere Gehirnhälfte, in der er nie nachschaute. Irgendwo da lagen auch
die ganzen Matheformeln.
„Hi“, sagte sie und setzte ein breites Lächeln
auf, das sie von Brad aus auch hätte weglassen können.
„Ich bin Brad.“
„Ja?“
„Ja.“
„Toll!“ Herr schmeiß Hirn vom
Himmel, flehte Brad.
„Und du?“
„Kathy.“ Brad mochte den Namen Kathy nicht.
„Schön.“
„Mhm...“
„Was machst du hier?“
„Nichts.“
„Wie nichts?“
„Naja, ein paar Freunde haben mich hierher
geschleppt, aber die finde ich jetzt nicht mehr wieder.“
„Das tut mir leid.“
„Okay.“
„Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber
sollten wir nicht hier weggehen?“
„Wieso? Hier steht man doch ganz gut.“
„Nein, ich meine aus der Bar. Hier ist so...
schlechte Luft, oder?“
„Ja.“
„Also, wollen wir dann gehen?“
„Okay.“ Oh Mann, ist die blöd.
Mit diesem Gedanken und einem aufgesetzten Lächeln verließ Brad mit ihr die
Bar und in fünf Minuten hatte er sie überredet mit ihm zu seiner Wohnung zu
gehen. Immerhin war sie hetero!
„Wo ist dein Badezimmer?“, fragte sie, als Brad
gerade sagen wollte, dass sie doch mal im Schlafzimmer nachschauen sollten.
„Gleich da“, sagte er und deutete auf die
Badezimmertür. Sie lächelte und verschwand dahinter. Brad nutzte diesen
Augenblick, um seinen Schal abzuwickeln und seinen Mantel auszuziehen. Dann
ging er ins Schlafzimmer und zog statt seines warmen Pullovers mit dem
Nosegrindskater ein T-shirt an. Er hörte wie die Badezimmertür aufging und
Kathy nach ihm rief.
„Ich bin hier!“
Kathy trat zu ihm ins Schlafzimmer und Brad
hatte das Gefühl, dass sie jetzt genau ins Spinnennetz geraten sei.
„Im Bad lagen deine ganzen Handtücher auf dem
Boden“, sagte sie. Brad fiel ein, dass sie umgefallen waren, weil er die
Bürste in den Stapel gepfeffert hatte. Ihm fiel ebenfalls wieder ein, dass er
seine Haare heute nicht gekämmt hatte.
„Ja, die müssen wohl umgekippt sein.“
„Ich hab eins benutzt.“
„Okay.“
„Was machen wir jetzt?“
Was wohl?dachte Brad.
„Ich weiß nicht. Hast du Lust? Äh... auf
irgendwas spezielles?“
„Nö, eigentlich bin ich müde.“
„Ich kann dir einen Kaffee machen.“
„Kannst du das?“
„Sicher, ich arbeite in einer Cafebar.“
„Oh, na gut.“
Wer um alles in der Welt kann denn keinen
Kaffee kochen?, dachte Brad und fragte sich, was für eine Torte er sich
denn da angelacht hatte. Apropos Torte: Das war auch so ein abwertender
Begriff. Aber in diesem speziellen Fall... Und außerdem mochte er den Namen
Kathy nicht. Jetzt machte Brad sich also daran Kaffe zu kochen und fragte
sich, weshalb er das Gefühl hatte immer das Gleiche zu tun.
„Willst du Milch oder Zucker?“
„Beides.“ Brad sah sie stirnrunzelnd an. Kaffee
mit Milch und Zucker. Also bitte!
Er stellte ihr beides auf den Wohnzimmertisch
und setzte sich dann mit seiner eigenen Tasse neben sie.
„Trinkst du den immer schwarz und ohne Zucker?“
fragte sie.
„Ja, irgendwie muss man den Kaffee ja auch noch
schmecken können.“
Sie kicherte doof. „Du arbeitest also in einer
Cafebar?“
„Ja, und du?“
„Ich studiere.“
Bist aber ganz schön dämlich für eine
Studentin, dachte Brad.
„Was denn?“
„Theologie.“
Ach du heilige Scheiße, dachte Brad
und überlegte, ob er sie nicht gleich vor die Tür setzen und die Nacht mit
seinem Teddybären verbringen sollte. Wobei ihm einfiel, dass er gar keinen
Teddy besaß.
„Echt? Cool“, sagte er.
„Findest du?“
„Nein.“ Sie lachte. Schon wieder.
„Bist du nicht religiös?“, wollte sie wissen.
„Nö, ich bin Atheist.“
„Oha.“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil ich nicht glaube.“
„Ja klar, aber warum nicht?“
Dir ist mal was klar? ging es ihm durch
den Kopf.
„Weil mir die Kirche zu wenig zeigt. Es ist
nicht überzeugend für mich.“
„Aber wie kann man sein Leben denn ohne
Grundsätze gestalten?“
„Also hör mal! Nur weil ich Atheist bin, heißt
das doch nicht, dass ich keine Grundsätze habe.“
„Welche hast du denn?“
„Äh...“
„Na?“
„Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, dass ich
immer meine Miete pünktlich zahle.“
„Und das befriedigt dich?“
„Es reicht aus. Man kann auch ein geordnetes
Leben führen ohne religiös zu sein. Die meisten Leute die in die Kirche gehen,
tun das doch nur, weil sie sonst das Gefühl haben sich nicht in die
Gesellschaft einzufügen.“
„Wenn du meinst.“ Sie trank ihren Kaffee.
„Bist du etwa total streng katholisch?“
„Ich glaube einfach nur.“
„Also nichts mit jede Woche beichten und keusch
bis nach der Hochzeit?“
„Kannst du dir nicht vorstellen, was?“ Sie
lachte. Schon wieder.
„Nee, kann ich nicht.“
„Okay.“ Sie trank noch einen Schluck Kaffee.
Brad fand, dass es mal Zeit wurde das Objekt zu
begutachten.
Also: Blond, na gut. Spitze Nase, wenn sie nicht
piekst. Die Lippen, rot. Sehr rot. Brad befürchtete den Lippenstift nicht mehr
aus dem T-shirt zu kriegen, sollte es denn wirklich soweit kommen. Hals und
Schultern übersprang er und wandte sich den wirklich wichtigen Dingen zu. Sie
trug ein enges Kleid, sodass er schätzen konnte, dass sie ungefähr
fünfundsiebzig B hatte. Das war in Ordnung. Sie hatte eine schlanke Linie und
den Rest müsste Brad sich nicht erst angucken.
„Naja“, sagte er dann und lächelte. „Vielleicht
ist Gott ja doch nicht so uninteressant.“
Es ist kalt. Warum ist es kalt?
Brad machte die Augen auf und verstand, dass es
kalt war, weil er nackt auf dem Sofa lag. Auf ihm nur eine nackte Frau und auf
dieser nur eine Wolldecke. Er fragte sich, ob er sie jetzt von ihrem Glauben
abgebracht hatte.
Und wenn schon, dachte er sich. Dann
wird sie halt von ihrer Familie verstoßen. Ist ja nicht mein Problem.
Er machte sich viel mehr Gedanken darüber, wie
er vom Sofa kommen sollte.
„Ach, scheiß drauf!“ Er drehte sich nach links
und Kathy fiel auf den Boden und wurde wach.
„Uuups, das wollte ich nicht. Bin einfach so...
Sorry“, sagte Brad und half ihr hoch, während sie sich den Kopf rieb.
„Autsch!“
„Ja, genau.“
„Wie spät ist es?“
Zeit für dich zu gehen.
Brad forschte nach einem Wecker. Er sah auf die
Küchenuhr.
„Halb zehn.“
Kathy bekam große Augen. „Was?“
„H-a-l-b z-e-h-n“, sagte er langsam und gut
verständlich.
„Oh nein! Ich hab um zehn eine Vorlesung!“,
stammelte sie und sammelte ihre Sachen auf, die Brad auf dem Boden zerstreut
hatte, zog sie in aller Hast an, sagte: „Mach’s gut!“ und schlug die
Wohnungstür hinter sich zu.
Brad stand noch immer völlig gleichgültig im
Wohnzimmer und fragte sich, warum sie nicht empört darüber war, dass er mit
ihr geschlafen hatte. Irgendwie enttäuschte ihn das. Er hob seine eigenen
Sachen auf und warf sie in den Wäschekorb im Bad. Danach stieg er unter die
Dusche. Das war wundervoll. Eine heiße, schöne Dusche an einem kalten,
grässlichen Januarmorgen.
Heute ist Samstag, dachte Brad. Da ging
ihm ein Licht auf. Am Samstag hatte man keine Vorlesungen. Brad lächelte
zufrieden in sich hinein und ließ das heiße Wasser an sich hinabfließen.
Deshalb ist sie so schnell abgezogen. Sie war
geschockt! Und zwar darüber, dass sie ihren Glauben hintergangen hatte. Und
somit hatte sie sich die nächstliegende Ausrede einfallen lassen, um von Brad
wegzukommen. Das hieß sie käme auch nicht wieder. Brad wusch sich zufrieden
die Haare. Wahrscheinlich hatte sie noch nicht mal daran gedacht, dass heute
Samstag war. Es war Samstag. Brad seufzte. Wochenende. An Wochenenden
langweilte er sich entweder zu Tode oder fuhr zu seinen Eltern, was ersteres
zur Folge hatte. Schlimmer als der Samstag war der Sonntag. Sonntag. Der Ruhetag
schlechthin. Brad hasste ihn. Der Tag hatte so was verschlafenes.
Brad stieg aus der Dusche und überlegte, ob er
nicht doch wieder hineingehen sollte, da es ihm ziemlich fröstelte. Er band
sich ein Handtuch um und trocknete seine Haare ab. Dann schlurfte er ins
Schlafzimmer, zog sich die rote Calvin Klein Shorts an - warum nicht?
dachte er sich - und bekleidete sich mit dem Rest.
Fünf Uhr. Brad saß am Küchentisch und starrte in
seine Kaffeetasse. Das brachte ihn auf die Idee daraus zu trinken. Er trug
seinen Mantel. Er hatte ihn angezogen, weil er vorgehabt hatte ein wenig an
die frische Luft zu gehen. Aber dann hatte er es sich anders überlegt und
einen Kaffee gekocht.
Den trank er jetzt und durchforstete seine
Manteltaschen nach interessanten Inhalten. In der einen Tasche waren ein paar
Groschen. Langweilig. Wäre es ein Zehndollarschein gewesen, hätte Brad mehr
Interesse gezeigt. In der anderen Tasche war ein nicht benutztes
Papiertaschentuch. Er legte es auf den Tisch und ein kleines Stück Papier fiel
heraus. Er sah es sich an.
Fog Road 333. Etage 9.
Brad überlegte was für eine Karte das war. Dann
fiel ihm wieder ein, dass Lily, das Mädchen aus dem Cafe, ihm diese Karte
gegeben hatte. Er fragte sich, warum er sie in den Mantel gesteckt hatte. Eine
Weile besah er sich die gekritzelte Schrift auf der Karte. Dann stand er auf
und beschloss den Preis für den Kaffee einzutreiben.